Island 1995/96

Désirée Kleiner

Familie

Mein Jahr in Island! Wahrscheinlich könnte ich mit all meinen Erlebnissen, Erfahrungen und meinem Leben dort ein ganzes Buch füllen, aber ich werde versuchen, es kurz und bündig zu machen.
Die Familie, in die ich kam, nahm mich herzlich auf und ich habe mich dort nie fremdgefühlt. Von Anfang an hat man über alles geredet. Meine Gasteltern waren jung und ich hatte nur einen kleinen Bruder, der als ich kam ein Jahr alt war. Er hat mich, sobald er mehr wie „mamma“(Mama) sagen konnte, „systa“(Kurzform von Schwester) genannt. Eigentlich konnte dort keiner meinen Spitznamen, geschweige denn meinen vollen Namen sagen. Von anfänglichen Varianten wie „Disa“ (isl. Mädchenname) über „Disare“ zum endgültigen „Dessi“ gab es alles. Es hat mich nie gestört, da man sowieso in zwei „Welten“ lebt und dann für jede „Welt“ einen anderen Namen hat. Es fällt leichter zu trennen. Dieses Trennen der „Welten“ des Gastlandes und des Heimatlandes, mit ihren zwei Familien und den unterschiedlichen Kulturen ist glaube ich sehr wichtig und gut, aber nicht einfach, da man selber nur eine Persönlichkeit hat, die in dem Jahr gewaltig geprägt und auch verändert wird. Wo wir beim Thema Sprache angelangt wären. Ich werde jetzt im Nachhinein sehr oft gefragt, ob es denn schwer gewesen sei Isländisch zu lernen. Ich verneine diese Frage immer, da es zwar schwierig war, aber relativ schnell der Grundwortschatz da war. Ab Weihnachten d.h. nach drei Monaten habe ich kein Deutsch und kein Englisch mehr geredet und es hat sich bewährt den Leuten das Englischreden mit mir zu verbieten. Manchmal habe ich schon gedacht, daß ich das nie lernen werde, aber gegen Ende wurde ich dann öfters für Isländerin gehalten, worauf ich mächtig stolz war. die Grammatik ist natürlich immer mein Schwachpunkt gewesen und ist es noch. Sie ist um einiges schwerer, als die deutsche Grammatik, aber fürs Erste ist es wichtig den Wortschatz des alltäglichen Lebens zu lernen. Auch war es ab dem Zeitpunkt, als ich Isländisch sprach einfacher, die Leute zur Kontaktaufnahme zu bewegen.
Die Isländer sind, wie wahrscheinlich viele „Nordmenschen“ sehr schüchtern und reserviert. Man muß auf Leute öfters zugehen bevor etwas zurückkommt. Dafür sind die Freundschaften, die dann entstehen, wie man so schön sagt „Freundschaften fürs Leben“. Ich hatte außer meiner Mutter noch zwei sehr gute Freundinnen und dann noch Freunde unter den Austauschschülern. Die eine Freundin war meine Schulkontaktperson und war mit mir in der Klasse. Sie hat mir anfangs sehr geholfen. Meine erwachsene Betreuerin, die ich hatte, hat am Anfang einmal vorbeigeschaut und dann habe ich sie mal zufällig getroffen, aber ich habe sie ja nie gebraucht und wenn, hätte ich keine Probleme gehabt mich an sie zu wenden.
Das AFS-Büro in Reykjavik war gut organisiert und ich hatte nie das Gefühl, vergessen oder überbetreut zu werden. Die gute Organisation hat sicher etwas mit der Übersichtlichkeit und Größe Islands zu tun.

Désirée mit Freunden von AFSIn unserem Jahr waren wir 34 Austauschschüler und es werden aber, was beachtlich ist, ca. 100 Isländer jedes Jahr in alle Welt geschickt. Das zeigt schon, daß die Isländer sehr aufgeschlossen für solche Dinge sind und ein längerer Auslandsaufenthalt im Studium, als Aupair oder im Beruf eigentlich jeder Isländer irgendwann mal macht. Klar! Wenn man so abgeschieden auf einer Insel wohnt ist dies die einige Möglichkeit die Welt kennenzulernen.
Die Isländer sind sehr stolz auf ihr Land und dessen Schönheit. Sie empfinden Island als sehr wichtig, was wir Ausländer etwas belächeln. Dadurch, daß es auf Island so wenige Menschen gibt d.h. ca. 270.000 ist es wie eine große Familie. Zwei Leute finden beim typischen Kennenlerngespräch auf jeden Fall einige gemeinsame Bekannte.
Bei Katastrophen rücken die Menschen sehr nahe zusammen, was mich bei einem Lawinenunglück, wo 20 Menschen ums Leben kamen, sehr beeindruckt hat. Im ganzen Land haben die Menschen für die Opfer Kerzen aufgestellt, es gab in Reykjavik einen Trauerfackelzug und Fremde haben die Opfer beweint. Bei uns wird so etwas fast jeden Tag beiläufig in den Nachrichten wahrgenommen, aber keinen berührt es persönlich, wenn z.B. bei einem Flugzeugabsturz viele Menschen ums Leben kommen. Ich glaube der jahrhundertelange Kampf gegen die Naturgewalten hat die Isländer geprägt und sie zusammengeschweißt.

Empfang bei der isländischen Präsidentin Vigdis FinnbogadottirFür uns Austauschschüler ergaben sich durch die kleine Bevölkerungszahl auch interessante Gelegenheiten z.B. wurden wir von der Präsidentin Vigdis Finnbogadottir empfangen oder wir haben eine Talkshow über AFS im Fernsehen gemacht. Mit meiner Kunstgruppe haben wir an einem skandinavischen Projekt teilgenommen und eine Ausstellung in der Nationalgalerie gemacht.
Mit dem Schulchor waren wir zweimal auf nationalen Chortreffen. Es war toll 300 Schüler die wunderschönen isländischen Nationallieder singen zu hören. Ein schönes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Außerhalb der Schule, wo ich im Chor und in der Kunstgruppe war, war ich noch in einem Musikschulorchester indem ich mit meiner Geige bei zwei Konzerten mitgespielt habe.
Nachdem die Prüfung in der Schule, die ich wie alle anderen mitschreiben mußte, gut überstanden war und ich stolz ein gutes Zeugnis und eine sehr gute Beurteilung in der Tasche hatte, ging es daran meine Reisepläne zu verwirklichen. Mit meinem Luis aus Venezuela bin ich dann auf die Westmännerinseln gefahren. Die Schönheit der Natur und das Vogelleben sind unbeschreiblich.

Désirée auf einem IslandponyDie nächste Tour ging dann auf die nördlichste Insel Islands, Grimsey. Sie liegt auf dem Polarkreis und hat somit im Sommer einen 24 Stunden Tag.
Gleich im Anschluß machte ich mit meiner Familie die Rundtour um Island. Auf den Fährfahrten wurde mir sogar mein sehnlichster Wunsch Wale zu sehen erfüllt.
Nach diesen Reisen mußte ich Abschied nehmen. Der Abschied war schwer und es gab viele Tränen und Versprechungen wiederzukommen.

Man kann uns Austauschschüler mit Pflanzen vergleichen. Wir lösen uns aus unserem altbekannten Boden, verwurzeln uns aufs Neue im fremden Boden des Gastlandes und machen diesen zu unserem Nährboden und passen uns soweit nötig an ihn an. Erneut werden wir herausgerissen und dieses Mal ist es noch schmerzhafter. Auch bleiben einige der jungen Wurzeln im Boden des Gastlandes zurück. Der Heimatboden hat sich verändert und wir auch und nun gilt es sich wieder einzugewöhnen. Und was bringt das alles?. Lebenserfahrung, schöne Erinnerungen, neue Freunde, Selbsterkennen, Verständnis für Andere, neue und andere Blickwinkel u.s.w. Kurz gesagt: sehr viel!

Danke!

Désirée Kleiner – 7.1.98